Systemisches Konsensieren: Unterschied zwischen den Versionen

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Der Grafik liegt eine Widerstandsskala von 0 - 10 zugrunde. 10 stellt den höchsten Widerstand dar (“geht für mich auf gar keinen Fall”), 0 Widerstandspunkte werden allen Vorschlägen gegeben, mit denen ich gut mit kann. Die Werte dazwischen werden nach eigenem Empfinden vergeben. In dieser Grafik haben die jeweiligen Personen ihre eigenen Vorschläge mit 0 bewertet, Petra, Martin und Jeanette haben aus den oben genannten Gründen jeweils einmal einen Vorschlag mit einer 10 (absoluter Widerstand) bewertet. Für Martin und Jeanette ist das italienische Restaurant auch in Ordnung, also geben sie diesem beide eine 0, für Petra und Klaus ist es “ganz OK”, sie geben eine 2 bzw. eine 3.  
Der Grafik liegt eine Widerstandsskala von 0 - 10 zugrunde. 10 stellt den höchsten Widerstand dar (“geht für mich auf gar keinen Fall”), 0 Widerstandspunkte werden allen Vorschlägen gegeben, mit denen ich gut mit kann. Die Werte dazwischen werden nach eigenem Empfinden vergeben. In dieser Grafik haben die jeweiligen Personen ihre eigenen Vorschläge mit 0 bewertet, Petra, Martin und Jeanette haben aus den oben genannten Gründen jeweils einmal einen Vorschlag mit einer 10 (absoluter Widerstand) bewertet. Für Martin und Jeanette ist das italienische Restaurant auch in Ordnung, also geben sie diesem beide eine 0, für Petra und Klaus ist es “ganz OK”, sie geben eine 2 bzw. eine 3.  
Das oben erwähnte Gespräch bildet sich in dieser Tabelle ab, das italienische Restaurant hat eindeutig den geringsten Widerstandswert, außerdem gibt es dort auch keinen einzelnen großen Widerstandswert (ca. 7/8 - 10), sodass davon auszugehen ist, dass dieser Vorschlag für alle eine gute Lösung darstellt.  
Das oben erwähnte Gespräch bildet sich in dieser Tabelle ab, das italienische Restaurant hat eindeutig den geringsten Widerstandswert, außerdem gibt es dort auch keinen einzelnen großen Widerstandswert (ca. 7/8 - 10), sodass davon auszugehen ist, dass dieser Vorschlag für alle eine gute Lösung darstellt. <br>
 
'''Damit dies von Beginn an zu erkennen ist, ist es zwingend notwendig, dass alle Beteiligten auch wirklich alle in Frage kommenden Vorschläge bewerten.'''
'''Damit dies von Beginn an zu erkennen ist, ist es zwingend notwendig, dass alle Beteiligten auch wirklich alle in Frage kommenden Vorschläge bewerten.'''



Version vom 25. Mai 2020, 15:03 Uhr

Was ist Systemisches Konsensieren (SK)?

Überblick

Eine Abstimmung, bei der man nur "Ja/Nein/Enthaltung" zur Auswahl hat, ist aktuell in vielen Bereichen der Standard. Aber diese Art der Abstimmung hat ein großes Problem: Die meisten Probleme sind vielschichtiger. Oft möchte man nicht wirklich mit Ja abstimmen, aber noch weniger mit Nein. Also Enthaltung?

Dieses Problem greift SK auf. Man stimmt nicht mit "Ja/Nein/Enthaltung" sondern mit einem Wert zwischen 0 und 10 ab. Dabei kann man sich das ungefähr wie Schulnoten vorstellen. 0 ist super, 10 ist maximal schlecht. Beim SK nennt man diese Werte nicht Noten, sondern "Widerstand". 0 bedeutet also "kein Widerstand" und 10 bedeutet "maximaler Widerstand". Es gibt auch Varianten, bei denen man statt 0-10 dann 0-2 oder 0-5 verwendet.

Der Vorteil ist, dass man über mehrere Möglichkeiten gleichzeitig abstimmen kann. Als ausgewählt gilt dann die Möglichkeit, die insgesamt den geringsten Widerstand hat.

Das Verfahren ist ein wenig komplizierter, aber es führt zu genaueren Ergebnissen und es nimmt mehr Menschen mit.

SK führt zu guten Ergebnissen, wenn eine Gruppe sich einigen möchte. Es stößt an seine Grenzen, wenn innerhalb der Gruppe nicht der Wunsch existiert, sich zu einigen, weil beispielsweise Einzelne unbedingt ihren Willen durchsetzen wollen.

Ablauf des SK in Kürze

Beim SK wird zunächst eine offene Frage gestellt. Zu dieser Frage können dann von allen gemeinsam Lösungsvorschläge eingebracht und diskutiert werden. Das ist noch keine Abstimmung, sondern die Vorschläge sollen von allen Seiten beleuchtet werden. Zusätzlich wird eine Passivlösung eingebracht. Diese lautet in etwa "Wir wollen das jetzt nicht entscheiden" oder "Wir wollen nichts tun" - je nach Fragestellung.

Wenn niemand mehr neue Vorschläge einbringen möchte oder nach einer bestimmten Zeit beginnt die Abstimmungsphase. In der Abstimmungsphase können alle Mitglieder der Gruppe für alle Vorschläge ihre Widerstände nennen.

Der Vorschlag mit dem geringsten Widerstand gilt als gewählt. Dabei ist völlig egal, wie hoch oder niedrig der Widerstand für diesen Punkt ist oder wie nah die Widerstände der besten Vorschläge beieinander sind. Die Lösung mit dem geringsten Widerstand gilt als gewählt. Falls der Vorschlag mit dem geringsten Widerstand die Passivlösung ist, dann wird zu der gestellten Frage nicht gehandelt.

SK im Detail

Wie entscheiden Freunde? Oder: Warum geht eigentlich “Ich bin dagegen!” vor “Ich bin dafür!”?

Oft läuft es unter Freund*innen so, dass jemand einen Vorschlag macht, alle stimmen spontan zu und die Unternehmung kann beginnen. Manchmal kann es aber auch so laufen wie in dem folgenden kleinen Beispiel: 4 Freund*innen, die alle ihre Arbeitsplätze in einer schwäbischen Kleinstadt haben, wollen nach langer Zeit endlich mal wieder gemeinsam die Mittagspause verbringen. Zur Auswahl stehen ein italienisches, ein griechisches, ein chinesisches und ein schwäbisches Restaurant. Martin und Jeanette würden am liebsten chinesisch essen, Klaus zieht das griechische und Petra das schwäbische Restaurant vor. Petra äußert dann, dass sie die chinesische Küche nicht vertrage, Martin wurde die letzten zwei Male beim Griechen so unfreundlich bedient, dass er dort erst einmal nicht mehr hin möchte, und Jeanette bemängelt, dass es im schwäbischen Restaurant ausser Salat praktisch keine vegetarischen Gerichte gibt. Nach kurzem Austausch beschließen die vier, zum Italiener zu gehen. Allen schmeckt es dort, es gibt eine ausreichende Auswahl an vegetarischen Gerichten und Bedienung und Ambiente sind freundlich.

Unter Freund*innen ist ein solches Verhalten völlig normal und natürlich, in der Regel fällt es uns nicht einmal auf, was hier eigentlich genau geschieht. Wir nehmen Rücksicht auf ein großes Aber, das eine oder mehrere Personen zu einem der Vorschläge hat. Bei Gruppen-Entscheidungen in Firmen, Parteien, Vereinen usw., auch Wahlen wird in der Regel nicht so vorgegangen. Es gilt fast immer und fast überall der Mehrheitsentscheid. Das Aber, ein Widerstand gegen einen Vorschlag wird nicht berücksichtigt, wird gar nicht oder nur am Rande gehört. Das kann Ohnmacht, Wut, weiteren oder größeren Widerstand hervorrufen. Zudem erzeugen Mehrheitsentscheidungen automatisch “Gewinner” und “Verlierer”. Wenn 60% für einen Vorschlag waren, sind 40 % u.U. sehr unzufrieden. Im Vorfeld einer solchen Entscheidung gibt es oft Lagerbildungen, alle Seiten versuchen, die anderen von ihrem Vorschlag zu überzeugen.

SK versucht Entscheidungsfindungen, wie sie in der Regel unter Freund*innen ablaufen, zu systematisieren, indem dem Widerstand eine entscheidende Rolle eingeräumt wird. Eine noch recht neue Kultur der Entscheidungsfindung.

SK versucht diese Form der Entscheidung zu systematisieren

Unser einfaches Beispiel würde sich in SK wie in der Tabelle abgebildet darstellen:

Chinesisch Italienisch Griechisch Schwäbisch
Petra 10 3 2 0
Martin 0 10 0 3
Klaus 4 0 3 2
Jeanette 0 4 0 10
Gesamt 14 17 5 15

Der Grafik liegt eine Widerstandsskala von 0 - 10 zugrunde. 10 stellt den höchsten Widerstand dar (“geht für mich auf gar keinen Fall”), 0 Widerstandspunkte werden allen Vorschlägen gegeben, mit denen ich gut mit kann. Die Werte dazwischen werden nach eigenem Empfinden vergeben. In dieser Grafik haben die jeweiligen Personen ihre eigenen Vorschläge mit 0 bewertet, Petra, Martin und Jeanette haben aus den oben genannten Gründen jeweils einmal einen Vorschlag mit einer 10 (absoluter Widerstand) bewertet. Für Martin und Jeanette ist das italienische Restaurant auch in Ordnung, also geben sie diesem beide eine 0, für Petra und Klaus ist es “ganz OK”, sie geben eine 2 bzw. eine 3. Das oben erwähnte Gespräch bildet sich in dieser Tabelle ab, das italienische Restaurant hat eindeutig den geringsten Widerstandswert, außerdem gibt es dort auch keinen einzelnen großen Widerstandswert (ca. 7/8 - 10), sodass davon auszugehen ist, dass dieser Vorschlag für alle eine gute Lösung darstellt.

Damit dies von Beginn an zu erkennen ist, ist es zwingend notwendig, dass alle Beteiligten auch wirklich alle in Frage kommenden Vorschläge bewerten.

Was hat es mit der sogenannten Passivlösung auf sich?

Die Passivlösung steht für den Fall, dass keine Entscheidung getroffen wird, dass also keiner der Vorschläge zum Zug kommt. Manchmal ist es gar nicht so einfach, diese zu formulieren. In unserem Beispiel würde das bedeuten, dass die vier nicht gemeinsam essen gehen, sondern jeder seine Mittagspause alleine gestaltet. Da die vier nach langer Zeit endlich wieder mal gemeinsam etwas unternehmen wollen, geben in unserem Beispiel alle dieser Möglichkeit recht hohe Widerstandswerte. Es gibt jedoch durchaus Fälle, in denen die Passivlösung den niedrigsten Widerstandswert erzielt. Das bedeutet dann ganz schlicht und einfach, dass es für die Beteiligten besser ist, zumindest in diesem Moment alles so zu belassen, wie es gerade ist. Auch ein Ergebnis!

Was passiert, wenn ich meinen Vorschlag “durchdrücken” will, und allen anderen Vorschlägen den höchsten Widerstandswert gebe?

Würden das alle Beteiligten tun, würde das letztlich dem Mehrheitsentscheid entsprechen. In unserem Beispiel würden die vier zum Chinesen gehen, obwohl Petra dessen Küche nicht verträgt. Dies geht unter all den 10er-Wertungen unter. Letztlich beraubt sich jede Person, die so handelt, der Möglichkeit, über alle anderen Vorschläge ausser dem eigenen mit abzustimmen. Sie kann zwar “Glück haben”, falls ihr Favorit gewählt wird, verliert aber jede Einflussmöglichkeit zu den anderen Vorschlägen, dadurch dass sie diese alle gleich bewertet (mit einer 10). Welche der anderen Vorschläge dann zum Tragen kommt, entscheiden somit die anderen Teilnehmer ganz alleine. Deshalb ist es zielführender allen Vorschlägen, mit denen ich gut sein kann, einen Widerstandswert von 0 zu geben, alle anderen den entsprechenden Wert, der sich für mich richtig anfühlt. Denn ich möchte nicht nur, dass mein Favorit “gewinnt”, sondern ich möchte vor allem, dass am Ende ein Vorschlag gewählt wird, mit dem ich mich wohlfühle, mit dem ich gut mit kann.

Der Prozessvorschlag

Ein Prozessvorschlag ist ein Vorschlag, der aufgrund organisatorischer, rechtlicher Fragestellungen der eigentlichen Entscheidung vorgeschaltet wird. Er hat immer Vorrang. Beispielsweise hätte Martin anmerken können, dass das griechische Restaurant derzeit keinen Mittagstisch anbietet. Bevor die 4 nun über die Vorschläge abstimmen können, klären sie ab (oder beauftragen jemanden, dies zu klären), ob diese Information den Tatsachen entspricht. Ist dies geklärt, kann zwischen 3 (kein Mittagstisch) oder 4 Vorschlägen (bietet doch Mittagstisch) gewählt werden.

Die 3 Skalen

Im Systemischen Konsensieren gibt es derzeit 3 Skalen: Widerstandswerte zwischen 0 und 2, zwischen 0 und 5, und zwischen 0 und 10. Meistens wird die Skala 0-2 verwendet, wenn es um einfache und rasche Entscheidungen geht (sogenanntes Schnellkonsensieren). Dazu werden oft die Arme verwendet: Die Arme bleiben unten: Kein Widerstand zu diesem Vorschlag, 2 Arme oben: totaler Widerstand, 1 Arm oben: etwas Widerstand oder größere Skepsis. Die beiden anderen Skalen bietet dementsprechend mehr Möglichkeiten des Feintunings. In der Agora verwenden wir die Skala 0 - 10.

Vertieftes Konsensieren

Beim sogenannten vertieften Konsensieren gibt es mehrere Abstimmungsrunden, mindestens 2. Dieses Verfahren eignet sich für komplexere Themen in Gruppen, die offen bzw. namentlich über die einzelnen Vorschläge abstimmen. Der oder die Initiator/in eines Vorschlages sucht dann mit denjenigen Personen das Gespräch, die seinem Vorschlag einen hohen Widerstandswert gegeben haben. Er überprüft, ob er seinen Vorschlag aufgrund der Einwände, die er in dem Gespräch gehört hat, entsprechend anpassen kann und auch möchte, und tut dies gegebenenfalls. Anschließend werden über alle Vorschläge - von denen nun einige u.U. modifiziert wurden - erneut abgestimmt.